Maracalagonis (CA)
Sardinien ist durch die isolierte Insellage über die Jahrhunderte hinweg zu einem Hort an alten Sitten und Traditionen geworden. Die zunehmende Mobilität des 20. Jahrhunderts und vor allem die IT-Revolution um die Jahrtausendwende haben dieser Isolation jedoch ein Ende bereitet. Neben den gewachsenen, zum Teil noch archaischen Strukturen (so in der Hirtenkultur), hat die Gegenwart Einzug gehalten. So ist zum Beispiel der derzeit viertgrößte italienische Telekommunikationsanbieter, Tiscali, in Sardinien entstanden und hat dort noch immer seinen Sitz. Ein anderes Zeichen für den Wandel sind innovative Produkte auch im Lebensmittel- und Getränkebereich, die vor 20 Jahren noch nicht einmal im Traum vorstellbar waren.
Dazu gehören die Craftbiere des Micro-Birrificio (Micro-Brauerei) Barley, benannt nach dem englischen Wort für Gerste – was die anfängliche Inspiration aus Amerika schon im Namen zum Ausdruck bringt. Das Phänomen der Craftbeer-Erzeugung hat ab den 1970er-Jahren in Amerika begonnen – als Gegenbewegung zur Bierindustrie mit ihrem weitgehend uniformierten, recht einförmigen, zumeist billigen Angebot. Im Gegensatz dazu setzen die handwerklich gebrauten Biere auf besondere Qualität, die in kleinen Mengen von begeisterten Brauern erzeugt wird – von Leuten, die Wert auf Topqualität, Kreativität und oft auch auf einen unverwechselbaren lokalen Bezug legen. Diese ganz andere Philosophie des Bierbrauens hat sich inzwischen weltweit durchgesetzt.
Ab Mitte der 90er-Jahre ist diese Idee auch in Italien aufgegriffen worden, wo die Bierindustrie bis dato eine nicht gerade berauschende Durchschnittsproduktion angeboten hatte. Gerade deshalb ist die handwerkliche Erzeugung von Bier auf großes Echo gestoßen. Begünstigt durch die Kreativität der Italiener und durch den Reichtum des Landes an besonderen regionalen Erzeugnissen, hat sich rasch eine ungewöhnlich lebendige und vielfältige Craftbeer-Szene entwickelt. Die Qualität und Originalität der italienischen Craftbiere hat nach und nach auch auf internationaler Ebene Anerkennung gefunden.
Dem 2006 gegründeten Micro-Birrificio Barley im Dorf Maracalagonis – in den Hügeln über Cagliari – ist jedenfalls ein fulminanter Start geglückt. Sein BB10, das auf die sardische Tradition der Sapa di Cannonau (siehe unten) zurückgreift, wurde 2008 als bestes handwerkliches Bier Italiens ausgezeichnet. Im Jahr darauf wurde Braumeister Nicola Perra – zusammen mit Isidoro Mascia Inhaber von Barley – zum italienischen Brauer des Jahres gewählt. Die Reihe von Preisen und Anerkennungen, auch auf den wichtigsten internationalen Bierwettbewerben, ist seither nicht abgerissen. Der maßgebliche Slow-Food-Führer zählt Barley jedes Jahr aufs Neue zur Elite der italienischen Craftbier-Erzeuger.
Barley produziert bevorzugt obergärige Biere, die an den vor allem in Belgien gepflegten Bierstil erinnern (Ale). Dabei kommen spezielle, zum Teil seltene Malz- und Hopfensorten zum Einsatz, aber auch unkonventionelle Zutaten wie Orangenzesten, Koriandersamen usw. Diese unkonventionellen Zutaten weisen stets auf die lokale landwirtschaftliche Realität hin und verleihen den Bieren aus Maracalagonis ihre unverwechselbare Prägung und Individualität.
Das kommt besonders bei den Bieren aus der BB-Serie zum Ausdruck. Bei allen Bieren dieser Serie wird Traubenmost – in kleinsten Mengen und in verschiedener Form – zur Unterstützung der Gärung eingesetzt. Das verleiht diesen Bieren, die mit 6° bis 10° einen geringeren Alkoholgehalt als die meisten Weine entwickeln, ein komplexes Aroma und einen raffinierten Geschmack. Diese lassen sich bestimmten Rebsorten zuordnen, denn es wird stets Most einer ganz bestimmten, typisch sardischen Rebsorte verwendet: Cannonau, Nasco oder auch Vermentino. Es kann sich um eingekochten Most in der traditionellen Form der sardischen Sapa handeln, aber auch vakuumkonzentrierter Most oder mit frischem Most gemischtes Mostkonzentrat kommen zum Einsatz. Nicola Perra hat von Anfang an mit dieser Art des Bierbrauens experimentiert. Sie ist 2015 in den USA offiziell als Italian Grape Ale anerkannt worden. Barley gehört zu den Pionieren dieses italienischen Stils.
Auf Grund der strikten handwerklichen Erzeugung bei Barley empfiehlt es sich, bei manchen speziellen Sorten die geplante Bestellung im Voraus reservieren zu lassen. Die Biere von Barley werden nicht pasteurisiert, nicht gefiltert, und ihr Gehalt an Kohlensäure (sie bilden einen dichten, cremigen Schaum) geht auf eine zweite Gärung auf der Flasche zurück. Jede Flasche ist ein kleines Stück handwerklicher Bravour.

Es ist deshalb hochinteressant, (sardische) Weine mit den Feinschmeckerbieren des Micro-Birrifio Barley zu vergleichen. Der Genuss ist dabei garantiert – selbst eingefleischte Weintrinker könnten das Bier von Barley manchem lieblos gemachten Wein aus der Weinindustrie vorziehen!